Nachbericht „Konsumräume in Bayern – warum nicht?“

11.10.2022 Fachbereich Psychiatrie, Sucht- und Gefährdetenhilfe Sucht

Nachbericht „Konsumräume in Bayern – warum nicht?“

Bündnis Bayerischer Suchthilfeträger lud zum politischen Fachgespräch

„Wo befindet sich der nächste Konsumraum?“ Mit dieser Eingangsfrage richtete sich Moderator Dr. Tim Pfeiffer zu Beginn des politischen Fachgespräches „Konsumräume in Bayern – warum nicht?“ am 7.10.22 an das Publikum. „Frankfurt? Karlsruhe? Nein, nur wenige hundert Meter entfernt. Denn es gibt sie, die Orte im öffentlichen Raum, an denen konsumiert wird - nur handelt es sich hierbei um illegale Konsumräume. Die bayerische Staatsregierung hat bis zum jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeit des Erlasses der Rechtsverordnung zur Einführung von Drogenkonsumräumen im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht umgesetzt.“ Aus diesem Grund lud das Bündnis Bayerischer Suchthilfeträger – bestehend aus Caritas München, Condrobs e.V., Drogenhilfe Schwaben gGmbH, drugstop Regensburg e.V., Prop e.V. – Verein für Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie, mudra Drogenhilfe Nürnberg sowie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern – zum politischen Fachgespräch. Neben Expert*innen verschiedener Disziplinen – Strafrecht, Sicherheit im öffentlichen Raum, Medizin und Praxis – waren auch Politiker*innen der Landtagsfraktionen anwesend: Bernhard Seidenath (MdL, CSU), Margit Wild (MdL, BayernSPD), Christina Haubrich (MdL, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern) und Kristine Lütke (MdB, FDP). Über 250 Personen – Mitarbeiter*innen der Suchthilfe, Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung, sowie Betroffene – nahmen an dem Fachgespräch, entweder in Präsenz in den Räumen der Katholischen Akademie Bayern oder digital, teil.

Die strafrechtliche Perspektive
Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu
(Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie der Universität des Saarlandes) stellte in seinem Kurzvortrag die These auf: „Drogenkonsumräume sind rechtlich sicher eingebettet!“ Dies erlaube es den Ländern, die Vorgaben zur Umsetzung von Mindeststandards mit unterschiedlichen Gewichtungen festzulegen. Damit hätten die Länder die Möglichkeit, die Ausgestaltung für den Betrieb ihren Vorstellungen gemäß zu justieren. Ein Drogenkonsumraum sei kein rechtsfreier Raum.

Sicherung des öffentlichen Raums
Janina Hentschel, Leiterin des Büros für Kommunale Prävention (BKP) der Stadt Augsburg
, berichtete vom erfolgreichen Aufbau von beTreff in Augsburg, einer Einrichtung zum Tagesaufenthalt, die den Konsum von Alkohol wie Bier und Wein erlaubt, und den positiven Effekten, die diese Etablierung für den öffentlichen Raum sowie die Nachbarschaft mit sich bringt.

Die medizinische Perspektive: Entlastung des Gesundheitssystems
Eine oft nicht mitbedachte Perspektive sprach Jan Welker, Oberarzt der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Nürnberg, an: Er zeigte anhand von Fallzahlen und Belegungsengpässen die sich immer weiter verschärfende Überlastung des Klinikpersonals auf. Hier spielten auch Patient*innen, die aufgrund von Überdosierungen durch Substanzkonsum behandelt werden müssen, eine Rolle. Deren Behandlung sei oft ressourcenbindend, da sie über einen längeren Zeitraum erfolge. Welker appellierte an dieser Stelle, auf die Anzahl von Notfällen in Städten mit Drogenkonsumräumen zu blicken: So war beispielsweise bei 300 Notfällen in einem Drogenkonsumraum in NRW nur in der Hälfte aller Fälle der Einsatz des Rettungsdienstes erforderlich und nur ein Drittel musste im Krankenhaus versorgt werden. Durch schnelles Eingreifen des geschulten Konsumraumpersonals wurden diese Fälle gar nicht erst zu „ressourcenaufwendigen“ und damit kapazitätsbindenden Patient*innen.
Die Einführung von Drogenkonsumräumen sei eine Entlastung für die Rettungskräfte und das Klinikpersonal, welches sich dann, so Welker, um andere Fälle kümmern könne.

Die Perspektive der Praxis
Eric Kramer, Leiter des Konsumraums „K76“ in Karlsruhe
, der Ende 2019 eröffnet wurde, gab einen Einblick in seine tägliche Arbeit. Es gibt nicht den von Kritiker*innen befürchteten „Drogentourismus“, die Nutzer*innen sind durchschnittlich 40,5 Jahre alt und durchschnittlich bereits seit 19 Jahren abhängig. Der*die Erst- und Gelegenheitskonsument*in dürfen zudem aus rechtlichen Gründen die Einrichtung nicht nutzen. Dies wird durch Erstgespräche sichergestellt. Die Zahlen, die Kramer nannte, zeigen: Die Menschen, die diesen Konsumraum nutzen, sind bereits lange suchtkrank und werden keinesfalls durch die Errichtung des Konsumraums zum Konsum motiviert.

Politische Podiumsdiskussion
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aus Landes- und Bundespolitik ging es um die Frage, wie es weitergehen, beziehungsweise was nächstmögliche Schritte sein könnten:

Margit Wild, Abgeordnete des Bayerischen Landtags für die SPD, sieht einen sinnvollen Schritt in der Durchführung eines Modellprojekts als Möglichkeit für Bayern. Ihre Fraktion müsse man zwar nicht von der Notwendigkeit von Konsumräumen überzeugen, aber nachdem sich die Landesregierung dieser Haltung bisher nicht anschließen könnte, wäre dies für sie durchaus eine Option.

Christina Haubrich, Vertreterin für Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag, sieht Konsumräume in Bayern als ein erweitertes Hilfsangebot neben schon bestehenden Angeboten und betonte, dass man andere Wege der Versorgung gehen müsse, sonst hätten auch andere zu leiden, vor allem im Hinblick auf die Versorgungssituation im Klinikbereich.

Auch Kristine Lütke, Sprecherin für Sucht- und Drogenpolitik der FDP-Bundestagsfraktion, schloss sich ihren Vorrednerinnen an. Sie werde das Thema mit in den Bundestag tragen.

Man müsse mehr in Prävention investieren, betonte Bernhard Seidenath, Gesundheits- und pflegepolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion. Er sehe keine neuen Erkenntnisse aus den vorangegangen Impulsvorträgen. Gründe, die gegen Konsumräume sprechen, wären leider auf der Veranstaltung nicht zur Sprache gebracht worden. Somit werde er dem Staatsminister für Gesundheit und Pflege Herrn Klaus Holetschek weiterhin nicht empfehlen, die Rechtsverordnung zur Errichtung von Konsumräumen in Bayern zu erlassen. Mit einer sogenannten „Erlaubnis“ in solchen Einrichtungen zu konsumieren, würde der Staat an Konsumenten und an die Gesellschaft das falsche Signal aussenden und die Glaubwürdigkeit von Drogen- und Kriminalpolitik nachhaltig beschädigen, betonte Seidenath. Für ihn sei Prävention ein sinnvolles Mittel der Drogenpolitik, bei den Menschen, die Konsumräume besuchen würden, sei „das Kind ja schon in den Brunnen gefallen“. Dieses Entweder-oder sah niemand außer ihm als sinnvoll an, weder im Saal noch im digitalen Forum. Alle anderen Wortbeiträge, sowohl von Referent*innen, Politiker*innen als auch aus dem Publikum kamen aus der Haltung heraus, dass gesundheits- und drogenpolitisches Handeln auch Menschen mit einer langjährigen Suchterkrankung unterstützen und mit einem möglichst breiten und wirksamen Angebot stabilisieren soll.

Fest steht:
Das Bündnis Bayerischer Suchthilfeträger wird zukünftig weiterhin den Diskurs mit den politisch Verantwortlichen suchen, um auch die letzten Hürden für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in Bayern zu nehmen.

Quelle: Bündnis Bayerische Suchthilfeträger

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