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Wir können nur gewinnen
Trans* zu sein, das empfindet Zara Jakob Pfeiffer als Geschenk. Sicher: Anders zu sein ist für queere Menschen mit schmerzhaften Erfahrungen und ständigem Kämpfen verbunden. Es sei aber auch eine Erfahrung, die stark machen kann, und von der wir alle als Gesellschaft profitieren können.
Wenn es um die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt geht: Wo steht da unsere Gesellschaft heute?
Auf der einen Seite erleben wir momentan eine Zunahme an Akzeptanz für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Und auf der anderen Seite zeigt sich eine Verhärtung der Diskussion, eine Art Gegenbewegung - als Reaktion auf diese zunehmende Akzeptanz.
Fakt ist, dass viele Menschen immer noch schlechte Erfahrung aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität machen. Wie zeigen sich Diskriminierung und Ablehnung für die Betroffenen konkret?
Auf verschiedene Art und Weise. Es beginnt beim Ignorieren, dass es diese Art von Leben gibt – was eine sehr indirekte Form von Diskriminierung ist. Lesbische, schwule oder trans* Personen kommen dann im öffentlichen Leben oder den Medien, zum Beispiel in Filmen, nicht vor. Oder nur stereotyp und nicht in ihrer realen Vielfalt. Es geht weiter über das „nicht berücksichtigt werden“, zum Beispiel nach einem Coming Out wenn es um die Karriere geht, und unangemessene Kommentare und Fragen. Und endet bei offenem Hass und Gewalt.
Wie wirken diese Erfahrungen auf die betroffenen Menschen? Was erschüttert mich in meinem Menschsein mehr: Der offene Hass, die direkte Ablehnung? Oder unsichtbar sein, totgeschwiegen werden?
Das lässt sich schwer beantworten. Aber was wir wissen ist, dass sogenannte Mikroaggressionen sehr belastend sind. Das sind alltägliche, kleine Diskriminierungserfahrungen. Dazu gehören das Ignorieren der sexuellen und geschlechtlichen Identität, aber auch das Ansprechen im falschen Geschlecht oder, dass es keine Toiletten für nicht-binäre Menschen gibt. Wenn sich diese Erfahrungen summieren, weil sie nicht nur ab und zu, sondern täglich passieren, dann können sie traumatisierend wirken.
Momentan erleben wir, wie sich Verschwörungstheorien und rechtes Gedankengut in der Mitte unserer Gesellschaft breitmachen und ungeniert artikulieren. Können Sie Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Akzeptanz queerer Lebensweisen und -entwürfe feststellen?
Auf jeden Fall lässt sich ein stärkeres Ignorieren der Lebensrealitäten von queeren Menschen feststellen: Es gibt schon erste Studien, die zeigen, dass LGBTIQ-Personen von der Pandemie besonders betroffen sind. Es wird aber nicht verstärkt gegen diese Personengruppe gehetzt.
Was man aber sehr wohl beobachten kann ist, dass es weltweit Bewegungen gibt, die versuchen, bereits errungene Rechte wieder zu beschneiden. Wenn wir zum Beispiel nach Polen gucken oder nach Ungarn, aber auch nach Großbritannien oder in die USA. Da werden insbesondere im Zusammenhang mit trans* Personen Erzählungen, Mythen und Zuschreibungen verwendet, die wir aus dem Antisemitismus kennen und die Angst machen sollen. Wenn zum Beispiel von einer Lobby gesprochen wird oder einer kleinen Gruppe, die viel Macht hat.
Wir beobachten das in rechten und konservativen Kreisen. In Großbritannien und den USA aber auch in so genannten radikal-feministischen Bewegungen, die gegen die Selbstbestimmung von trans* Personen ins Feld ziehen und einen Konflikt heraufbeschwören, der eigentlich absurd ist. Die Rechte von Frauen werden nicht beschränkt, wenn trans* Menschen mehr Rechte bekommen.
Warum funktioniert diese „Angstmache“? Warum reagieren Menschen mit Ablehnung und Feindseligkeit, wenn sie mit Vielfalt jenseits von Heterosexualität und zweigeschlechtlicher Norm konfrontiert sind?
Es gibt sehr viele Gründe dafür. In Deutschland zum Beispiel haben wir immer noch ein sehr völkisches Bild von der Familie. Alles, was nicht in diese Bild passt, wird als Bedrohung empfunden. Das ist auch sehr eng verknüpft mit Rassismus und Nationalismus. Aus diesem Bild entstehen Erzählungen, die sich immer wieder selbst reproduzieren: So lange wir keine anderen Bilder haben, so lange wir keine lesbischen, schwulen oder trans* Personen kennen, vervielfältigen sich diese traditionellen Bilder immer weiter.
Welche Vorbilder gibt es in unserer Gesellschaft, den Medien zum Beispiel für ein lesbisches Mädchen? Gibt es positive Vorbilder? Ist lesbisch sein normal? Oder wird es nur problematisiert? Wenn die positiven Vorbilder fehlen, dann ist es auch nicht leicht, sich selbst positiv zu beziehen. Aber das ändert sich gerade: Es gibt viel mehr Menschen, die sichtbar werden. Das ist toll.
Wenn eine Gesellschaft mein „Menschsein“ vor allem problematisiert, dann gehört aber auch eine gute Portion Mut und Selbstbewusstsein dazu, um sichtbar zu werden, um sich hinzustellen und zu sagen: „Ich bin stolz darauf, wie ich bin! Und das ist gut so.“ Nicht jede*r kann oder möchte das…
Es gibt viele Menschen, die eine Transition durchmachen und danach einfach als Frau leben und mit ihrer Geschichte nicht mehr sichtbar sein wollen. Dann gibt es andere, für die es ganz wichtig ist, dass ihre Geschichte sichtbar ist. Und dann gibt es nicht-binäre Menschen, die immer sichtbar sind – weil es gar nicht anders geht.
Unsere Gesellschaft schaut auf LGBTIQ Menschen häufig mit einem defizitären Blick. Dabei ist es ein Gewinn, unsere Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven erlebt zu haben, zum Beispiel durch eine Transition. Wenn wir diese verschiedenen Perspektiven und Wahrnehmungen miteinander teilen, dann können wir alle gewinnen. Zum Beispiel, indem wir gesellschaftlichen Strukturen aufdecken, die sonst schwer zu erkennen sind, weil sie sich nicht aufdrängen.
Für mich persönlich ist trans* sein ein Geschenk. Ein Geschenk, das ich auch nicht mehr hergeben wollte. Natürlich ist es auch schwer - rechtlich und medizinisch - und man muss ständig kämpfen. Aber Anderssein ist nicht nur Schwäche und Schmerz. Sondern auch eine Erfahrung, die stark machen kann. Klar gibt es viel Diskriminierung, es gibt aber auch sehr viel Unterstützung und Zuspruch.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Von der Politik wünsche ich mir, dass sie endlich ein Selbstbestimmungsgesetz für trans* Menschen beschließt. Das Transsexuellengesetz ist Unrecht, es zwingt trans* Menschen in entwürdigende, langwierige, unsichere und teure Begutachtungsverfahren: Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen immer wieder festgehalten, dass Teile des Gesetzes verfassungswidrig sind.
Und wir brauchen eine Anerkennung im Familienrecht. Es ist zum Beispiel unerträglich, dass lesbische Paare, die Kinder kriegen, das eigene Kind adoptieren müssen. Wir haben viele rechtliche Regelungen, die sich nur an Frauen und Männer richten und die Existenz nicht-binärer Menschen ignorieren. Da gibt es absurde Gesetzeslagen, zum Beispiel, wenn es um Personalratswahlen geht.
Die Frage ist: Muss das alles immer in jedem einzelnen Punkt – wie es leider häufig ist, wenn es um Menschenrechte und Diskriminierung geht – von Betroffenen vor Gericht erstritten und erkämpft werden? Ich würde mir wünschen, dass dieses Erkämpfen nicht mehr nötig ist. Dass der Gesetzgeber selbst die Initiative ergreift und die Dinge sorgfältig angeht. Denn kämpfen können auch nur manche: Viele Menschen haben nicht die Kraft oder die Ressourcen dazu.
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