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Wo ist die Perspektive?
„Wir klauen ihnen die Jugend“, sagt Sabine Bethge. Sie ist Erzieherin in einer Jugendwohngruppe in Fürth. Dort beobachtet Sabine Bethge, wie sich seit Beginn der Pandemie Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit unter den Jugendlichen breit machen. Viele Jugendliche würden sich nichts mehr wünschen oder erträumen – weil sie sich nichts mehr vorstellen können.
Sabine Bethge ist Erzieherin in einer heilpädagogischen Jugendwohngruppe Fürth unserer Mitgliedsorganisation vsj. In der Wohngruppe leben derzeit vier Jungen und drei Mädchen zwischen 14 bis 24 Jahren.
Sabine Bethge sagt, die Jugendlichen werden scheu, sie „können sich nicht mit anderen ausprobieren.” Die Jugendlichen halten sich an die Regeln, aber für sie ist nicht nachvollziehbar, warum sie mit vielen anderen Menschen in der U-Bahn sitzen, aber nicht zwei Freunde treffen dürfen. „Also muss man U-Bahn fahren, um seine Freunde zu treffen?"
Quarantäne – für die Jugendlichen schier unaushaltbar
Besonders schwierig gestaltet sich der derzeitige Alltag, wenn Jugendliche in häuslicher Quarantäne sind. Die elf Quadratmeter großen Einzelzimmer dürfen in diesem Fall für die Quarantänezeit nicht verlassen werden, ausgenommen ist der Gang ins Badezimmer. Toilettengänge müssen telefonisch angekündigt werden, um sicherzustellen, dass sich niemand auf dem Gang aufhält. Das Badezimmer wird danach komplett desinfiziert. Sabine Bethge leidet mit: „Für die Jugendlichen ist das schier unaushaltbar. Sie haben nicht mal Hofgang.”
Besondere Herausforderung: Homeschooling
Das Homeschooling stellt die stationären Einrichtungen vor besondere Herausforderungen. In der Regel ist am Vormittag kein oder nur wenig Personal in den Einrichtungen, denn die Jugendlichen sind normalerweise in der Schule. Findet Distanzunterricht statt, sind alle Jugendlichen in den Wohngruppen und müssen nicht nur betreut, sondern auch beim Lernen angeleitet und begleitet werden, zu Lasten der Verwaltungstätigkeiten, die sonst am Vormittag erledigt werden. Ein*e Betreuer*in betreut dann acht Schüler*innen aus unterschiedlichen Jahrgangsstufen und Schularten, die mit verschiedenen Lernplattformen arbeiten.
In Bayern wurde für diese Fälle die sogenannte 10%-Regelung geschaffen oder alternativ die Bezahlung nach Fachleistungsstunden. Die so finanzierten zusätzlichen Personalressourcen sind jedoch lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein, da bei weitem nicht alle Kinder und Jugendlichen adäquat im Homeschooling betreut und unterstützt werden können. Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen sind dadurch benachteiligt und werden von der gleichberechtigten Teilhabe an Bildung ausgeschlossen.
Perspektivlosigkeit macht sich breit
Besonders schwierig wird auch die Situation der Jugendlichen am Übergang ins Berufsleben gesehen. Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit machen sich breit. Jugendliche schreiben 50 Bewerbungen ohne überhaupt eine Antwort zu erhalten. Die Jugendlichen „wünschen sich nichts mehr, weil sie sich nichts mehr vorstellen können.” Es entsteht der Eindruck, dass die Politik die Jugendhilfe einfach nicht auf dem Radar hat. Dies muss sich besonders im Hinblick auf die Bedarfe und Bedürfnisse der jungen Menschen ändern. Das Resümee der Einrichtungsleitung: „Wir klauen ihnen die Jugend.”
Stationäre Jugendhilfe wird vergessen
Nicht nachvollziehbar ist für Sabine Bethge der Umgang mit den Impfpriorisierungen. „Warum sind Erzieherinnen in den Kindertagesstätten und Grundschullehrerinnen in der Prio-Stufe 2 und das Personal in der Jugendhilfe Stufe 3? Wir sind 24 Stunden mit den Kindern und Jugendlichen auf engsten Raum zusammen.” Angesichts der Testpflicht in Schulen ist nicht nachvollziehbar, warum die Bewohner*innen und Beschäftigten in den Einrichtungen der Jugendhilfe nicht regelmäßige Tests durchführen sollen bzw. diese nicht refinanziert sind. Die Jugendhilfe wurde in der Testverordnung nicht aufgenommen. Die Versorgung mit Schutzmaterialien verlief ebenso sehr schleppend.
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