Sprachstandserhebungen sind falscher Ansatz - Paritätischer fordert strukturelle Verbesserungen für Teilhabe von Kindern

11.04.2025

München – CDU/CSU und SPD wollen die Chancengerechtigkeit und Teilhabe von Kindern verbessern und setzen dafür laut Koalitionsvertrag ausgerechnet auf eine bundesweite Einführung verpflichtender Sprachstandserhebungen bei allen Vierjährigen. „Das ist der falsche Ansatz. Kinder werden sicherlich nicht für eine Bildungskarriere gestärkt, wenn Defizite markiert und über aufgezwungene Nachhilfe festgeschrieben werden“, bewertet Margit Berndl, Vorständin des Paritätischen in Bayern, dieses Vorhaben. Sie fordert stattdessen, den Fokus auf die Beseitigung struktureller Schwachstellen zu legen: „Der Zugang zur Kindertagesbetreuung für benachteiligte Familien muss erleichtert werden. Träger und Einrichtungen brauchen zudem endlich ein solides finanzielles Fundament, um gezielt den Bedarfen der Kinder und Familien vor Ort begegnen zu können.“
Bayern bildet bei der Verpflichtung zum Sprachscreening die Vorhut: Im Dezember 2024 wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. „Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die Umsetzung in Schulen Ressourcen binden, die dringend an anderer Stelle benötigt werden“, führt Berndl aus. Die Screenings werden in den Schulen von Beratungslehrkräften durchgeführt, die damit keinerlei Kapazitäten mehr für ihre eigentliche Aufgabe haben. Zudem werden Kinder, die in Bayern eine Kindertageseinrichtung besuchen, längst über etablierte Beobachtungsverfahren in ihrer sprachlichen Entwicklung eingeschätzt. Stellt eine Kita keinen Förderbedarf fest, müssen die Kinder auch nicht zum Screening in die Schule. Zudem wird gerade im ersten Durchlauf sichtbar, dass die Screenings in den Schulen seltener einen Sprachförderbedarf feststellen als die etablierten Beobachtungsinstrumente in den Kitas.

Diese Idee der verbindlichen Sprachsachstandserhebung stellt einen Versuch dar, die nach wie vor vorherrschende Zementierung der Abhängigkeit der Bildungschancen von sozialer Herkunft aufzuweichen. Der scheinbar unauflösliche Zusammenhang von Herkunft und Bildungserfolg liegt aber nachweislich in systemischen Mängeln unseres Bildungssystems. „Diese werden jedoch politisch kaum beachtet. Statt Kitas besser und gezielter auszustatten, werden die Fehler im Kind und bei den Familien gesucht und auf die sprachliche Bildung reduziert“ analysiert Margit Berndl. Der Kita-Bericht 2024 des Paritätischen Gesamtverbandes zeigt: Kitas mit vielen sozial benachteiligten Kindern haben bundesweit häufig eine deutlich schlechtere Ausstattung, sowohl personell als auch räumlich, und geben an, den Bedarfen der Kinder oft nicht gerecht werden zu können. Dies betrifft neben der sprachlichen Bildung auch Verhaltens- und Entwicklungsstörungen. Folglich ist die Arbeitsbelastung für das Personal hoch und Stellen bleiben lange unbesetzt. Dieser Teufelskreis lässt sich auf diese Weise jedoch nicht durchbrechen. Ein Hoffnungsschimmer hierfür ist, dass der Koalitionsvertrag über ein Qualitätsentwicklungsgesetz ein Startchancen-Kita-Programm entwickeln will.

Hinweis zur Vertiefung des Themas: Weihmayer/Espenhorst 2025: Wie der Abbau von Benachteiligung NICHT gelingt. In: Kita Aktuell Recht 1/2025, S. 24-27. Den Beitrag können wir Ihnen auf Wunsch zur Verfügung stellen.

 

Ansprechpartnerin für die Presse:
Gabriele Dorby | 089 30611-245 | presse@paritaet-bayern.de

Über den Paritätischen Wohlfahrtsverband in Bayern

Der Paritätische in Bayern ist einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrts­pflege. Dem Landesverband haben sich rund 800 Mitgliedsorganisationen angeschlossen, die in allen Bereichen der Sozialen Arbeit tätig sind. Der Paritätische ist zudem selbst Träger sozialer Einrichtungen und unterhält bayernweit diverse Pflegeeinrichtungen. Er ist parteipolitisch und konfessionell unabhängig und an keine Weltanschauung gebunden. Mehr Infos: https://www.paritaet-bayern.de/

 

Mit dem Aufruf des Videos willigen Sie ein, dass Daten an YouTube übermittelt werden. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Presse, Fachbereich Kinder / Jugend / Familie, Fachbereich Migration, Bildung, Inklusion, Kinder und Jugend
Zum Seitenanfang